Ende der Welt
Reisebericht von Kai-Uwe Thiessenhusen
Teil VIII: Ausflüge um Kirowsk.
Mittwoch, 21.8.
Ein sonniger Tag. Da schreit doch jemand nach einer Fotoorgie. Erst Blick
auf Südosten auf Stadt und See. Auf einem Schrottplatz wird eine WL22
zerlegt. Dann zur Fabrikruine. Peinlich: ein sonnenrichtiger, WL22
bespannter Zug kommt uns entgegen, und wir latschen auf den alten
Staatsbahngleisen statt an den Werksbahngleisen 'rum, und sind von denen
durch diverse Büsche getrennt. Die nächste Stunde oder länger warten wir
an der Fabrik.
Irgendwann lassen Florian und ich Thomas alleine fotografieren und ziehen
erst etwas im "Zodiak" (Laden mit ein paar Stühlen nicht weit vom Hotel:
das einzige, was wir in der Innenstadt gefunden haben, wo man Mittags an
den Ruhetagen des "Wetschernaja" essen kann) essen, dann nach Kirowsk-25.
Mit dem Bus zur Wendeschleife am Ende der Siedlung und dem Eingang zum
Bergwerk. Links geht's dann hoch. Auch dieser Berg ist ein
Wintersportzentrum, und eine Seilbahn (die nicht fahrfähig aussieht) ist
auch dort. Ausblicke wunderbar, auf Siedlung, Bergwerk (samt
Verladeanlage, wo ein WL22-bespannter Zug Wagen für Wagen von oben mit
Gestein beladen wird) und die Bergkette gegenüber samt den vom Bergbau
geschlagenen Lücken.
Blick vom Berg auf Kirowsk-25.
Nach anderthalb Stunden sind wir oben, ein relativ großes Plateau.
Tolle Blicke nach allen Seiten: nach Süden wie beschrieben, nach
Osten auf weitere Berge, nach Nordosten auf ein langes, einsames Tal
mit diversen Seen, nach Nordwesten auf einen etwas größeren See und
nach Südwesten (wo es richtig steil runtergeht), im Gegenlicht auf
den großen See und die Stadt dahinter, in Hintergrund das Flachland.
Mein Film ist voll, und beim Einlegen des neuen wird dieser versaut.
Gut, unten wird es schon einen neuen geben.
Chibiny von seiner schönsten Seite
Eine Stunde später unten. Wir treffen Thomas und Sergej, der uns die
Videokasette geben will. Geht aber noch nicht, denn die spult
noch. Zeit nutzen, um in der Kaufhalle einen Film zu kaufen. Man hat
keine. Und eine Passantin die ich frage ernüchtert mich. Nein in
"km-25" würde es keine Filme geben, erst in Apatity. Letzteres stimmt
definitiv nicht, in Kirowsk werden sie auch schon welche haben, aber die
erste Aussage wird von anderen Passanten bestätigt.
Ich frage mich durch sämtlicher Läden des Ortes durch, erst die, wo es
Technik und/oder Drogeriewaren geben könnte, dann durch den Rest.
Die Kommnunikation mache ich mir selbst dadurch schwer, weil ich vergaß
das "Film" auf russisch nicht "Film" heißt (das ist nur ein Kinofilm),
sondern "Pljonka". Und siehe, in einem Laden, eigentlich für Damenkleidung,
kann ich in der Tat einen Film erstehen. Eigentlich wohl mehr für den privaten
Gebrauch des Verkäufers, aber egal, und auch nicht teurer also sonst.
Mittlerweile ist Sergej, mit merklicher Alkoholfahne zu Thomas und Florian
gekommen, und hat die Kasette übergeben. Tschüß sagen, und wieder ins Tal.
Wir überlegen, ob gleich zum hinteren Tunnel. Der scheint uns aber zu weit
weg, und so jagen wir den "Personenzug" (die selben Loks wie am Tag zuvor)
an der Stelle von vor 2 Tagen. Hinterher noch zum Tunnel? Ich habe keine
Lust, vor allem auf den Weg von dort zurück (ein Hintergrund ist, daß
meine Sohlen völlig durch sind). Auf der anderen Seite des Tales fahren
Busse vom Bergwerk in die Stadt, Stadtverkehr, nur Werkverkehr? Es wird
*vermutet* (wie sich später zeigt, zu recht), daß auch regulärer
Stadtverkehr, aber keiner weiß genaues.
Abends lange warten, daß ein Zug durch einen Teil des Tales fährt, wo die
letzte Abendsonne scheint. Thomas will unbedingt noch warten, Florian und
ich warten wiederum auf Thomas, etwas weiter vorne. Der kommt nicht; wir
verpassen dann gerade so den Bus. Mit dem nächsten, eine halbe Stunde
später in die Stadt. Dort Schaschlyk essen in einer ambulanten
Freiluftkneipe vor dem Hotel. Wir sehen in der Ferne Thomas rumstreunen.
Der saß nicht bei den Zügen, sondern war nach der Devise "überholen ohne
einzuholen" auf den Schienen gegangen, und schafft so sogar noch den Bus,
den wir verpaßten.
Ein Russe vertraut uns einen Italiener an. "Mein Kollege, wenn was ist, so
helft ihm bitte, er kann kein Russisch". Der kommuniziert aber gut mit
Händen und Füßen und einem Eingeboren. Dann zusammen mit ihm ins Hotel,
also endlich mal ein weiterer Gast außer uns. Geologe, und zur Forschung
hier.
Donnerstag, 22.8.
Immer noch Prachtwetter. Fotoorgien? Für Thomas ja. Für Florian und mich
erst einmal Frühstück, und Arbeit. Hotelrechnung bezahlen, ausgiebig, weil
jedes Frühstück einzeln abgerechnet wird. Nächster Punkt: Fahrkarten
kaufen, wir wollen ja am nächsten Tag nicht auf dem Bahnsteig rumstehen.
Wir hatten schon eine Fahrt nach Apatity eingeplant, aber Igor erklärte
uns, daß es auch in Kirowsk ein Verkaufsbüro gäbe. Mal gucken, wann das
Verkaufsbüro auf hat, dann Thomas samt Paß zum Kauf einsammeln. Das Büro
liegt hinter dem Kulturpalast bei der Zentrale der OAO Apatit, der Apatit
AG. Nebeneinander Bus-, Bahn und Flugkasse. Öffnungszeiten gemerkt. Aha,
und dann zur Fabrik, wo Thomas schon auf eine Weile auf Züge wartet.
Wir müssen nicht warten, denn kaum sind wir da, fährt ein
sonnenrichtiger WL22-Zug.
Nochmal WL22 - und zwar in blau. Und eine Zugkreuzung direkt an der Fabrik.
Prima, dann können wir gleich Fahrkarten kaufen gehen. Das zieht sich,
weil erst einmal der Innenstadtanschluß des Werkes von einem Güterzug
belegt ist. Sieht nach Motiv aus, aber als wir nicht wissen, ob der nun
zurückkommt oder nicht, gehen wir.
Fahrkarten Fehlanzeige. Das sei Nahverkehr und Fahrkarten gibt es nur
direkt am Bahnhof Apatity kurz vor Abfahrt des Zuges. Es sei aber
überhaupt kein Problem, da würde es immer welche geben.
Thomas geht wieder fotografieren, Florian und ich bleiben in der Stadt.
Erst ins "Zodiak" zum Essen, dann ins "Wetschernaja" fürs Internet (da
hätten wir natürlich auch besser essen können). Eine Gruppe Touristen
marschiert in unser Hotel. Kurz nach 14Uhr treffen wir uns zusammen am Bus
nach Raswummtschorr. Der "Tromsbuss" kommt aus Apatity und mindestens 5
Minuten zu früh.
Auf dem Weg dahin muß ein Kontrollpunkt auf der Straße passiert
werden, aber das interessiert nicht weiter. Dann halten wir fast
mittem im Werk. Wendeschleife, diverse wartende Menschen und eine 3
Meter hohe Hammer-und-Sichel-Skulptur. Fasznierend.
Eingang zum Bergwerk.
Zum Tunnel. Das ist nicht sonderlich weit, aber weil wir uns nicht durchs
Werk trauen, ist der Weg etwas mühsam, und wir müssen einen Bach
überwinden, und wenig später noch ein zweites Mal. Dann erreichen wir die
Strecke, und laufen ein paar hundert Meter zum Tunnel. Kaum sind wir da
kommt ein Zug (mit WL22) aus dem Tunnel gefahren. Den Cheffotografen
ärgert das mehr, als es ihn freut: die Sonne war noch nicht rum zum
Fotografieren. Der Ärger wächst, als der Gegenzug in den Tunnel fährt:
mit neuer Lok. Es ist zu erwarten, daß der dann der nächste Zug aus dem
Tunnel sein wird, und also auch nichts richtiges zum fotografieren.
Dummerweise ist unsere Zeit nicht unbegrenzt. Igor hat für den Abend
eine Gebirgsexkursion organisiert, (das ist uns sowieso schrecklich
peinlich, was der alles für uns tut) und wir müssen rechtzeitig zurück.
Warten. Erst Florian, dann auch ich, inspizieren einen langen
Holzverschlag neben der Strecke. Darin Gleise, anscheinend unbenutzte
Schmalspurwagen., Reste einer Werkbahn mit eigenem Tunnel.
Thomas harrt aus, aber nichts fährt 'raus.
Nur in Gegenrichtung fährt ein Zug (mit alter Lok) fährt noch in den
Tunnel.
Höchste Zeit zu gehen. Anfangen, die Sachsen zusammenzupacken.
Doch dann: Sound, und aus dem Tunnel kommt ein Zug, und was für einer:
nicht die erwartete und befürchtete neue Lok, sondern eine WL22, und
nicht nur irgendeine WL22, sondern "unser" Pärchen vom Dienstag
( WL22 2030+1993) (die Thomas den ganzen Tag noch nicht auf der
Strecke gesichtet hat).
So wird es ein richtig würdiger Abschied von dieser tollen Bahn.
Durchs Gebüsch zurück, die Doppelbachüberquerung wollen wir
vermeiden, doch das wird nichts, denn es sind zwei Bäche...
Rechtzeitig zum Bus, und zu Igor. Währende dessen kommen die
Schwester von Igors Frau, die jett in Bulgarien lebt und ihre Mutter.
Wir warten noch auf Igors Freund, Alexander, San Sanitsch genannt.
Hochinteressanter Posten: Marketingdirektor der Apatitwerke. Dann fahren
wir mit dessen großem Geländewagen los. Am Betriebsbahnhof vorbei, dann
aber nicht nach Kirowsk-25, sondern links ab, erst ein Stück Straße, ein
paar Häuser, dann ein breiter Weg, dann eine längere Schotterpiste....
Zwischen kahlen Bergen, weit und breit kein einziges Haus, langsam
hoch. Rechts der Kukiswummtschorr, wo wir einen Tag vorher oben
waren, in der Abendsonne. Eine Art Paß.
Auf dem Chibiny-Pass.
Der ist eher unspektakulär, und wieder geht es entlang einiger
Bergseen bergab. Dann wachsen unten wieder Bäume, und irgendwann
biegen wir nach rechts zum eigentlichen Ziel, dem Wasserfall. Der ist
ganz nett, aber eher unspektakulär. Am meisten begeistert ist Igor
selbst (insofern relativiert sich doch etwas unserer hilfloser Dank,
was Igor alles für uns getan hat). Er ist seit 16 Jahren nicht mehr
dort gewesen... Wir klettern ein wenig über Steine durch den Bach,
und ich wundere mich, daß ein relativ selten Sport treibender Mensch
wie Thomas viel leichter über diese Steine kommt. Kunststück, seine
Beine sind länger (und außerdem ist er viel dynamischer).
Wieder zurück, ein Bergsee mit ganz spiegelglatten Wasser. Man fährt
uns direkt zum Hotel, es ist schon spät. Bißchen noch in einem der
Abendläden einkaufen, das wars dann.