Ende der Welt
Reisebericht von Kai-Uwe Thiessenhusen
Teil III: Petersburg
Für den eiligen englischsprachigen Leser hier ein kurzer
Abstract
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Petersburg sucks.
Und hier geht es los mit dem
Text
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Mittwoch, 14.8. 2002
Halb 10 Ankunft auf dem Witebsker Bahnhof in Peterburg. Der Bahnhof ist
Baustelle. Bahnsteige im Freien, nur die Lok fährt ein Stück in die Halle
'rein, das Stück ist aber nicht frei zugänglich. Links neben der Halle
geht es 'raus.
Witebsker Bahnhof in St. Petersburg.
Planungsbesprechung in einem netten Park gegenüber, wir
entscheiden uns, zunächst zu versuchen, ob wir in einem Hostel in der Nähe
des Finnischen Bahnhofes unterkommen. Dorthin kommt man am schnellsten mit
der Metro, aber eine direkte Obus-Fahrt dorthin ermöglicht noch eine
zusätzliche Stadtrundfahrt. Sieht ja so ganz nett aus, viele alte Häuser
und die Flüsse und Flüsschen, die Brücken....
Eine Obus- (oder auch Straßenbahn-) Fahrt kostet 5 Rubel, beim Schaffner
zu bezahlen. (Entwerter o.ä. haben wir nirgends mehr bei Bus oder
Straßenbahn in Russland gesehen, immer nur Schaffner).
Der finnische Bahnhof hat ein Nachkriegsempfangsgebäude und wird auch
gerade umgebaut. Im angeblich vollem Hostel zwei Ecken weiter (an der
Newa, daneben ist der durch bekommen wir schließlich nach einigem Hin und
Her fÜr 14$/Nase 3 Plätze in einem Fünfbettzimmer, die beiden anderen
bleiben frei. Ganz oben, Blick auf die Newa.
Wir fragen wegen der Registrierung unserer Visa. Schließlich sind wir seit
der Königsberger Registrierung nochmal eingereist. Man meint, sie können
das nicht machen, und verweist uns auf das Hotel Newa, Viertelstunde
Fußmarsch über die Brücke Ri. Innenstadt.
Dort meint man, unserer Königsberger Registrierung sei völlig ausreichend.
Wir (namentlich ich, nach einigen Erfahrungen mit der Moskauer Polizei vor
5 Jahren) sind uns da nicht sicher. Anderthalb Ecken weiter ist ein Büro
der örtlichen OVIR, der Visabehörde. Angesichts der Schlange vor der Tür
verzichten wir dann aufs Nachfragen dort und beschließen, lieber das
Risiko einzugehen, so groß scheint es ja nicht zu sein.
Zum nächsten Bahnhof, dem Moskauer, bzw. Hauptbahnhof, wie er nun heißt.
Dieser Bahnhof ist Baustelle. Um es vorwegzunehmen: dieses trifft auch auf
den vierten noch in Betrieb befindlichen großen Kopfbahnhof, den
Baltischen Bahnhof, zu. Wie auch auf viele andere Stellen in Petersburg.
Nächstes Jahr ist 300jähriges Stadtjubiläum, und dort möchte man doch...
Die nächste Stunde ist dem Fahrkartenkauf am Schalter gewidmet, aber das
ist ein Kapitel für sich. Danach sind wir erst einmal erledigt, und haben
Hunger. Es gibt am Bahnhof Hunderte von Ständen, aber nichts zum Sitzen.
Erst jenseits des Newski Prospekt findet sich einiges. Nein, das
Warsteiner Inn muß nun wirklich nicht sein, aber dahinter ist so eine Art
Bäckerei/Cafe. Nicht doll, aber besser als nichts.
Es folgt eine längere off-topic Aktivität mit Besichtigung der
einschlägigen und, um es positiv zu formulieren, ausgezeichnet besuchten
Steinhaufen der Stadt.
Blick über die Neva auf die Waterfront von St. Petersburg.
Ein intensiver und irgendwie ganz besonders
chaotisch anmutender Autoverkehr macht das ganze ausgesprochen nervend.
Immerhin hat Wanderungsorganisator Florian eine Pause auf dem Rasen
eingeplant, und Thomas und Kai-Uwe nehmen sich eigenmächtig noch eine
zweite zum Beine in die Newa halten. Erst bei der Peter & Pauls-Festung
ist etwas mehr Ruhe.
Fachmännisch ist Peter oder Paul hinter einer Holzfachwerkfassade versteckt.
Auf dem Stadtplan hat Florian eine Eisenbahnbrücke über die Newa gefunden.
Dorthin wollen wir mit der Straßenbahn, aber die fährt baubedingt
irgendwie nicht. Wir finden eine andere, die verendet am Finnischen
Bahnhof. Die nächste Bahn fährt überraschend wieder zurück, da haben wir
langsam die Nase voll, verlassen sie an der nächsten Metrostation und
fahren zur Station Moskowskaja.
Zur Metro: vier Linien, mit Farben gekennzeichnet. Meist Tieflage, drei
Minuten Rolltreppenfahrt sind keine Seltenheit. Schöne Bahnhöfe, wenn auch
nicht ganz so prächtig wie in Moskau. Auf einer Linie, der grünen, finden
sich Wände mit sich erst bei Ankunft des Zuges öffnenden Türen. Das
Experiment scheint sich aber nicht so bewährt zu haben, denn auf der
jüngeren gelben Linie gibt es so etwas nicht.
Eine Fahrt kostet 6 Rubel, knapp 20 Cent. Stationen mit Sperren, beim
Umsteigen zwischen den Metrolinien geht's nicht durch die Sperren. Lt.
Aushängen kostet auch das Überbrücken der Metrolücke der roten Linie
zwischen Lesna und Pl. Mushestwa mit dem Bus nichts extra. (Dort ist 1996
mal die Metro abgesoffen, und bis heute fährt sie noch nicht wieder; der
nördliche Ast der roten Linie wird im Inselbetrieb befahren.
Der Durchgang durch die Sperren wird ähnlich wie in New York oder Moskau
durch den Einwurf eines Jetons freigegeben.
Einen guten Kilometer stromaufwärts von der Station Moskowskaja ist die
Eisenbahnhubbrücke. Der Versuch, wenigstens das letzte Stück dorthin mit
der Straßenbahn zu fahren, scheitert auch, diesmal daran, daß die
Haltestelle nicht zu finden ist. Also zu Fuß. Die Brücke, recht
interessant aussehend, dient nur noch dem Güterverkehr.
Eine WL10 bringt einen Güterzug über die Neva.
Eine Weile im Gras liegen, und als weit nach 21 Uhr die Sonne untergeht
(ich hätte lieber einen Sonnenuntergang am Meer gehabt), trollen wir uns,
finden ein Stück weiter einen Biergarten, und Schaschlyk gibt es auch.
Nach Hause. Die Nacht wird von zwei der drei Beteiligten überwiegend für
andere Dinge als zum Schlafen genutzt. Das Fiepen der Mücken ist lästig,
und es gibt längere Jagdszenen. Außerdem wird das nächtliche Öffnen der
Brücken beobachtet: die machen nämlich alle für ein, zwei Stunden nachts
auf, daß Schiffe fahren können; die Stadt ist dann geteilt. Nur ich
bekomme davon überhaupt nichts mit, der Vorteil der temporären
Schwerhörigkeit.
Donnerstag, 15.8
Das im Übernachtungspreis enthaltene Frühstück verschlafen wir. Ich bin
normalerweise der, der morgens im Zweifel Hektik macht, aber weil mir
Petersburg ziemlich egal ist, drehe ich mich wieder um, als ich den Wecker
höre. Komischerweise bin ich trotz Schwerhörigkeit der einzige, der ihn
überhaupt gehört hat.
Florian ist eher für Kronstadt, versucht aber irgendwie gar nicht, das
durchzusetzen (mich hätte er ja vielleicht überzeugt gekriegt).
Herauszufinden, was Thomas möchte, sollte klar sein (Hinweis: die Sonne
scheint). Ich möchte irgendwie gar nichts so richtig, meine Ruhe haben und
weg von hier. (Das ist aber schon geregelt, also besteht überhaupt kein
Handlungsbedarf).
Die rote Metrolinie verbindet alle wichtigen Fernbahnhöfe. Zum Baltischen
Bahnhof, Baustelle. Wie auf allen Bahnhöfen reger Betrieb auf den
Vorortstrecken. Taktverkehr gibt es nirgends, aber die Zugfolge ist
zumindest im Innenbereich recht dicht. Hier kommt man direkt an die Züge,
Rigaer Elektrotriebwagen, 'ran. (Am Finnischen oder Witebsker Bahnhof gibt
es dagegen Bahnsteigsperren). Auf einem Nebengleis steht ein recht neu
aussehender Triebwagen, (ET2A 001) eher als Bauzug oder so genutzt.
Ein Stück weiter der Warschauer Bahnhof. Passend zum Niedergang der
einstigen Magistrale dahin ist er nun ganz dicht, seit anderhalb Jahren
fährt dort nichts mehr. Die schöne Halle ist eine Ruine, anscheinend schon
länger. Man kann sich da sogar reinschleichen.
Die hinter der Halle liegenden Bahnsteige dienen zum Abstellen nicht
genutzter Garnituren, daneben ist ein kleines Eisenbahnmuseum.
Vor dem Bahnhof ein kleiner Laden, etwas Essen. Vor dem Bahnhof die
Straßenbahn, irgendeine nach Süden nehmen. Die fährt sogar einigermaßen.
Ansonsten ist Straßenbahn fahren hier kein wirkliches Vergnügen. Kaputte
Gleise, 3cm breite Schienenstöße sind keine Übertreibung. Fahrpläne gibt
es nirgends, der Takt ist meistens auch alles andere als dicht, nur wenn
sich mehrere Linien überlagen, ist es besser. Hinzukommt, daß wenn es etwa
mögliche Übergänge Straßenbahn-Metro gibt, die Haltestellen so gelegt
sind, daß sie garantiert *nie* vor den Metroeingängen liegen. Und so
weiter; die Fahrzeuge (irgendwelchen alten Eigenproduktionen) sind auch
alles andere als bequem.
Strassenszene in St. Peterburg: Autos, Autos, Autos und manchmal eine Tram.
Irgendwo in einem Neubaugebiet steigen wir auf einen Obus um und fahren
nach Sortirowotschnaja. Was dieser Bahnhofsname auf deutsch heißt, kann
man sich fast auch ohne Russischkenntnisse denken ;-). Großer Markt,
Vorortbahnsteige an den Durchfahrtsgleisen der Hauptstrecke Ri. Moskau
(vor Tempo 200-Zügen wird gewarnt) und dahinter viele Gütergleise. Einiges
los, wir bestaunen eine russische Großgleichstromlok der Baureihe WL10.
Ansonsten ist Petersburg weitgehend in den Händen der Skoda-Loks,
jedenfalls was Lokomotiven angeht. Dazu die Rigaer Triebwagen für den
Vorortverkehr.
Eine Brücke überspannt das ganze Ensemble, das sich nach Norden bis zur
nächsten Vorortstation, Farforowskaja, hinzieht. Sieht recht nett aus,
Bier am Bahnhof + Soljanka in einer Kneipe testen, während Thomas
fotografiert.
Blick ins Bahnbetriebswerk St. Petersburg Sortirowotschnaja.
Auch noch ein paar Bahnhofsfotos machen, mit einem Öngel und einem Zug
nach Moskau.
[Farforowskaja - Nawalotschnaja, ER2]
Mit einem Vorortzug eine Station (eigentlich sind es zwei, aber in "5. km"
hält fast nichts) stadteinwärts. Nawalotschnaja liegt in einer völlig
toten Gegend. Und wir wandern durch staubige Straßen zwischen etlichen
Autos in der Hitze, uns zwischenzeitlich verlaufend, zur Brücke von
gestern. Es ist an Florian, diesmal ein wenig zu defrittieren anzufangen
(dabei war die Brücke doch eigentlich seine Idee, aber wie schon erwähnt,
finden wir reihum immer wieder die eigenen Ideen die schlechtesten). Der
oberste Supermarktfan (ich) verkürzt derweil die Wartezeit mit einigen
rituellen Einkäufen.
Dann geht's Richtung Westen. Ich möchte Sonnenuntergangsorgien an der
Ostsee, Thomas das Hotel Pribaltiskaja besichtigen, wo seine Eltern vor 15
Jahren mal Urlaub machten. Mit der Metro zur Sportiwna;
brachialromantische Station mit diversen Sportlerdenkmälern. Weiter soll
es mit der Straßenbahn gehen; zunächst ist die Haltestelle nicht zu
finden, und dann fährt baubedingt auch gar keine Bahn dort lang. Nach
einer halben Stunde Wartezeit findet sich ein Bus. Was ich von der Fahrt
von der Wasilewski-Insel sehe, gefällt mir sogar. Alte Häuser, und dank
Randlage ist der Autoverkehr nicht so ätzend wie anderswo in der Stadt.
Hotel Pribaltiskaja ist ein großer Kasten direkt am Meer. Bei Lonely
Planet kommt es sogar recht gut weg.
Gerade rechtzeitig zum Sonnenuntergang. Wie in Amerika: man kann per Auto
direkt zum Strand. Der ist ziemlich verdreckt. Thomas und ich baden
trotzdem. Diverse Biergärten, einer hat teures Schaschlyk bei lauter Musik.
So geht der Abend vorüber. Bus, Metro, umsteigen, und zurück zum Hostel.
Sachen aus dem Gepäckraum holen, Florian duscht noch schnell, und mit der
allerletzten Metro des Tages geht es zum Ploschadch Lenina, zum Haupt-
alias Moskauer Bahnhof. Paar Vorräte einkaufen, die meisten Buden haben
rund um die Uhr auf. Etwas am Auskunfsterminal spielen, die geben auch die
Zahl der noch freien Plätze an. Bahnhofsbaustellenbesichtigung, und dann
wird irgendwann der Pass. 528, fahrplanmäßige Abfahrtszeit 1.20 Uhr,
bereitgestellt.