Vom Ende der Welt

Reisebericht von Thomas Kabisch


Teil V: Abschied vom Norden



Mo, 02.09.02


Wir erinnern uns. Auf dem Fensterbrett der Herrberge steht noch immer ein Kassetten- rekorder. Das könnte man doch zum Aufzeichnen einiger typisch Nordschwedischer Sound-Impressionen benutzen. Eine Inspektion des Gerätes ergibt absolut keinen Hinweis auf ein eingebautes Mikro, aber da sind zwei so verdächtige Löcher. Was fehlt ist nur eine Kassette. Aber ICA ist ja gleich um die
Ecke. Kauforgie. Alles scheint es in diesem für den kleinen Ort viel zu großen Supermarkt zu geben - nur keine Leerkassetten!
Naja, da hilft alles nichts, dann müssen wir zum Notanker greifen! Für 29,90 SEK führt ICA 60min orgiginal schwedische Volksmusik... Zurück zur Herberge, die Überschreibschutzlöcher zugestöpselt und "1,2, Lauschprobe!" Und siehe da, vom zurückgespulten Band kommt kein Heino sondern Thomas! Na das ist ja sehr zufriedenstellend. Nun heisst es warten.
Nun kommt allerdings zu allem Unglück die Sonne raus, die brauche man für Tonaufzeichnungen nun wirklich nicht! Also draußen vor der Herberge postiert, rechte Hand am Rekorder, linke an der Kamera.
Und dann gehts los: Pünktlich zum nächsten Personenzug kommt - ein Hubschrauber! Das nenne ich Anschluß und besonders soundtologisch gut abbildbar.
Soeben hat der Erzzug Abisko Östra verlassen und rumpelt an der Herrberge vorbei.



Aber irgendwann ist dann auch der nächste Erzzug im Kasten, in beiden Kästen. Zeit fürs Wanderprogramm. Gings bisher immer nur westwärts, soll es heute Richtung Kiruna, also nach Osten gehen. Abisko Östra liegt auf km 1506, da sollte sich 6km entfernt auf einer gußeisernen Tafel ein nettes Fotomotiv finden.
Vorher aber noch Umfeldbesichtigung rings um die Herberge. Die Hostel hat zumindest im Winter für seine Besucher noch ganz andere Spezialiäten anzubieten: Schlittenhunde- rennen. In der unscheeigen Jahreszeit bewachen die Huskies aber die Gegend aus ihren Käfigen, gleich hinter der Herberge.
Dann weiter. Abisko hat auch ein kleines Bw, mit Lokschuppen. Im Normalbetrieb sicher- lich längst stillgelegt, aber da auch an der Erzbahn zur Zeit ein bekannter Bauwurf sein Unwesen treibt, ist hier das Baubüro. Allerhand Fahrzeuge stehen abgestellt, so auch der bekannte Speno-Schleifzug aus Deutschland. Nicht mit der 103 kommt man weit rum, viel besser ist es doch, Lokführer auf einer 715 zu sein - die hier in Abisko stehenden haben den Heimatbahnhof Basel...
Streckenwanderung. Hier ist es etwas flacher, links und rechts niedriger Wald. Von den Einschnitten hat man einen schönen Blick zurück auf Abisko, das gewaltige EG überthront allen anderen Gebäude, dahinter der Njulla. Und wieder spielt die Sonne mit den Wolken. Ein Erzzug verkehrtherum und schließlich auch einer richtig- herum mit Sonne! Weiter.

Der Mittagszug aus Narvik kurz hinter Abisko Östra. Im Hintergrund der Njulla.


Nach vier Kilometern kommt ein Postenhäuschen in den Blick, völlig einsam in der Landschaft - natürlich hat es längst seine Funktion verloren. Ein Kilometer weiter findet sich am Scheitelpunkt einer kleinen Steigungsstrecke ein schöner Standort, man kann kilometerlang die Strecke einsehen, sogar liegend. Das ist die richtige Stelle für eine Siesta.
Die zwei Sonnenstunden pro Tag sind heute natürlich schon um 12Uhr längst abgearbeitet, so daß bei den nun folgenden Zügen mit diesem Luxus nicht mehr zu rechnen ist. Neben diversen Erzzügen gibt es noch eine Überraschung. Im Schritttempo kommt eine T44-Diesellok daher und schleppt eine Fuhre, die auf dem ersten Blick sehr nach einem Castortransport aussieht. Aber was war es wirklich?
T44 mit mystischer Fracht. Weniger Kilometer vor Abisko.


Dann weiter, das Ziel der Wanderung ist einen Kilometer weiter erreicht, da steht sie hochherrschaftlich, die Gußtafel mit der Aufschrift '1500', also genau 1500km nördlich von Stockholm.
Der Ami-diesel, eine Bauzuglok, die typisch amerikanisch nur einen Endführerstand hat, dieselt noch vorbei, dann ist es Zeit den Rückweg anzutreten. Den gehts nun die Straße entlang, die die Eisenbahnherrlichkeit hier seit 1980 leider etwas zerstört. Bis dahin gab es in diesem Winkel Schwedens auuschließlich eine Eisenbahn.
Von den beförderten Mengen ist allerdings die Eisenbahn hier immernoch haushoch über- legen, ein Auto kommt nur alle 10 - 15min, eigentlich ein klarer Grund zur Stillegung. Man will mich nicht mitnehmen, ein paarmal versuche ich den Daumen, also zurück- wandern. Wieder taucht das markante Bahnhofsgebäude "The Landmark of the Abisko- Region", nach einer Strassenbiegung auf und sieht derart groß aus, als wenn es nur einen Kilometer entfern steht. Aber 6km bleiben auch auf der Strasse 6km.
Gegen 1745Uhr zurück in der Hostel. Örjan ist mit seinem Pickup gerade mit einer Ladung Möbel angekommen, er kann ein bischen Hilfe gebrauchen.
Neue Bekanntschaften: Andrey aus England, er will morgen eine mehrtägige Bergwanderung starten und ist sehr an Wettervorhersagen interessiert.
Da hat er natürlich den richtigen getroffen... Und gegen Abend, noch zwei neue Besucher, welch Zufall aus der Schweiz und natürlich auch aus Zürich. Sie wollen einkaufen und essen. Beides schlecht in Abisko Östra nach 18Uhr, aber in der Turiststation soll es sowas geben. Eine gute Gelegenheit, mal wieder nach dem dortigen, stets nicht funktionierenden,Internetanschluß zu schauen, also wandern wir gemeinsam. Eine neue Wettervorhersage bringt sicherlich gaaaanz neue Erkenntnisse.
Das Ergebnis ist natürlich wie nicht anders zu erwarten: 'Still overcast' und 'Internet geht nicht'. Also zurück nach Östra.
Der Grund fürs Internet war vor allem planerischer Natur. Schließlich geht die Zeit in Abisko langsam zu Ende und weiter reichte die Vorplanung nicht. Weiter soll es über Norwegen gehen, nur wann fährt da was Richtung Süden?
Da hilft nur eins: Fahrplanbüro Frenzel, der soll sich da auskennen. Also eine längliches Handytelefonat nach Berlin, natürlich mit Lifeübertragung der mal wieder gerade vor dem Fenster spielden Sinfonie: 'Bim,Bim,Blim, Tak,Tak,Tak...'. Ergebnis: Zwei Busse gibt es von Narvik, einer morgens und einer um 16Uhr. Ganz passend zu den Erzbahnzügen ist das nicht, dafür soll am anderen Ende in Fauske der Anschluß stehen. Die Fahrplanzahlen werden auch von Andrey mit Begierde notiert, auch er will später weiter über diesen Weg.
Entscheidungen. Dann ist der Entschluß gefallen: Abreise morgen, Richtung Narvik! Und gleich noch ein Telefonat ins ferne Berlin. Das Restreisekollektiv müßte seit heute wieder daheim sein, und da braucht man doch eine Rückmeldung.
Dann waren die Schweizer wieder heim, so sitzen wir und können quatschen und den Abend ausklingen lassen. Wieder gibt es neue Kartenspiele. Dann ward es Mitternacht, die letzte Nacht in Abisko. Morgen heißt es Abschied nehmen, Abschied vom Norden.

Di, 03.09.02

Abschied tut weh, das Wetter ist kompatibel: Regen. Aber wie so oft ist hier nichts beständiger als der Wechsel. Der zweite Zug Richtung Narvik, er geht um 11Uhr, soll es sein.
Örjan ist nicht da. Schade, ich hätte mich gerne noch von ihm verabschiedet. Der Engländer macht sich auf die Wanderung, er will 2 Tage durch die Berge streifen, dann zurück sein.
Für mich gibt es kein zurück, zumindest nicht mehr in diesem Jahr... Das Geld fürs Zimmer wird Örjan in die Tür geklemmt, hoffentlich findet er's. Schnell noch eine SMS an Anne, wolln doch mal schauen, ob Sten Nadolnys 'Netzkarte' auch in Skandinavien funktioniert, d.h. wir uns wiedertreffen...
Dann war die Zeit doch rum, eine bekannte Melodie holt mich aus meiner Melancholie: 'Bim,Bim, kling!', das muß er sein, Tagkomaniet 92 aus Stockholm! Na dann mal los. Mit vollem Gepäck, über die Gleise, trotzdem ist der Zug schneller am Bahnsteig...uff! Vorbei die Ruhe von Abisko, von nun an ist Stress angesagt! Ganz klar: Die Hatz mit dem Scanrailticket hat begonnen!
Der Zug gut gefüllt, es gibt kein freies Abteil mehr, mal wieder wird deutsch gesprochen. Turiststation, viel Fahrgastwechsel, in Brjörkliden: Sonne und Kreuzung.
Zwei EL15, norwegische Erzloks machen sich auf den Weg nach Kiruna.
Kreuzung in Björkliden, zwei norwegische El15-Erzloks führen.


Weiter. Und wieder hinein in die Regenfront und hinunter in die Fjorde nach Narvik.
Narvik zeigt sich von seiner 'besten' Seite, es regnet und ist auch noch windig. Zwei Tage vorher, soll der Fährverkehr auf die Lofoten eingestellt gewesen sein, wegen Schneesturm(!), Anfang September!
Zudem machen russische Isolatoren, Apatitbrocken und seit jüngstem auch noch ein paar Erzkügelchen den Rucksack nicht gerade leichter....
Vier Stunden haben die Fahrplanbauer in dieser ziemlich öden Stadt vorgesehen. So lange dauert es nämlich bis der Bus nach Fauske und Bodo endlich abfährt. Der Busbahnhof befindet sich im Unterstock eines Kaufhauses, sehr romantisch, zumindest ist es nicht ganz so windig wie draußen, eine der Lichtschrankentüren ist zum Glück kaputt, so bleibt die Wärme drinnen.
Aber vier Stunden hier rumsitzen ist vielleicht auch nicht so das Wahre. Gepäckschließfach? Ja, nur 40NOK, 10DM - beeindruckend. Scheinbar ist das der Mindestpreis überhaupt in diesem Land.
Also mit Gepäck zurück in den Ort. Museum? Sieht ganz interessant aus. Ein Erzbahn- wagen steht davor, wirbt für 100Jahre Erzbahn. Aber ein Blick in den LonelyPlanet klärt auf: Ein Kriegsmuseum. Na, dann eben nicht. Dann ein Sonnenloch!
Da war doch noch der Erzhafen, und da stehen im Bahnhof gleich 2 Dm3 hoch über der Stadt abgestellt. Vielleicht eine gute Chance, sich die Dinosauerier der Schiene nochmal von nahem anzugucken. Nur wie hinkommen?
Eine waghalsige Kletterübung über halbabgerissene Reste von Verladerampen und durch Kohle und Erzstaub führt hinauf zu den beiden: 1219 DENNEWITZ und 1224 BARON stehen friedlich am Rande des Erzbahnhofs. Beeindruckend auch die Details, die Motoren und Antriebsstangen und 12 gekuppelte Achsen, das gußeiserne Fabrikschild 'Statens Järnvagar 1963' - was ich nicht so recht glaubhaft klingt.
Details der Ellok-Riesen. Hier der Motor und die Treibstangen.



Und die Sonne scheint das klitzekleine Loch in der schwarzen Wolkenwand förmlich festzuhalten. Genial!
Dann wieder runter, buh, niemand schien am verbotenem Treiben Anstoß zu nehmen. Den unten gelassenen Rucksack wieder schultern und zurück zum Busbahnhof wuchten. Dann kommt noch SOFIA - die "bulgarische" Lok, und für mich heisst es nun aber endgültig Abschied nehmen. Im Souterain steht derweil der Bus nach Bodo schon bereit. Adé Erzbahn, adé Hoher Norden!
Und Willkommen in Norwegen, dem angeglich viertteuersten Land der Welt.
Immerhin gibt es die 250km nach Fauske mit Scanrail schon für sagenhaft günstige DM50, förmlich ein Schnäppchen....
Dafür wird auch was geboten. Norwegen pur eben. Die Küstenstraße schlängelt sich immer zwichen Land und Meer endlang, umrundet einige Fjorde, andere werden mit atemberaubenden Brücken abgekürzt. Und irgendwann war die Fähre. Eine Fähre die zum gleichen Landgebilde übersetzt auf dem man sich schon befindet.

Fähre zwischen Narvik und Bodo.


Ein letztes Mal zeigt sich für heute die Sonne, dann hat die Regenfront endgültig gesiegt. Nun gibt es Wasser allerorten. Rechts in Form des Ozeans, von oben als Regen, und von den Bergen stürzen unzählige Wasserfälle herunter. Eine wahrahft beeindruckende Landschaft. So bleibt es auch die nächsten Stunden. Dann kommen die Tunnel, einer nach dem anderen, teils mehrere Kilometer lang.
Und mitten in der urzeitlichen Landschaft meldet sich die moderne Kommunikations- technik: Piep, piep. Der Gruß kommt von Anne, sie ist derweil in Trondheim und will morgen mit der Hurtigrute fahren, nach Bergen. Interessant.
Naja, Hurtigrute hätte schon was, schließlich sollen die nur 50% kosten gegenüber dem Sommerpreis, und Trondheim am nächsten morgen sollte kein Problem sein. Es sind ja nur noch 800km Richtung Süden. Also SMS zurück.
Draußen derweil mal wieder ein Korrespondenzhalt in der Einsamkeit. Und es gibt Beförderungsfälle und nicht nur dass, auch allerhand Gepäck und Post wandert von einem anderen Bus zu unserem. Das Bussystem scheint hier wirklich der Lebensnerv einer Region zu sein, manche Busse sind sogar 'BmG' - Bus mit Güterbeförderung, mit eingebautem Kühlcontainerteil. Die Weiten des Nordens haben doch ein paar andere, durchaus innovative Lösungen hervorgebracht.
Und dann ward die Nacht hereingebrochen, wir nähern uns Fauske, dem Korrespondenz- bahnhof im Norden der norwegischen Nordlandsbahn.
Der Großteil der Buspassagiere will weiter mit dem Zug nach Süden, auch eine deutsche Wandergruppe. Aber sie haben das gleiche Problem wie ich. Wie kommt an die Reservierungen für den Zug? Zudem wenn Reserverierungen obligatorisch sind? Und was tun in Fauske, wenn der Zug ausgebucht ist?
So stürme nicht nur ich sofort nach Ankunft in die Bahnhofshalle, wo sogar zwei Schalter abends um halb zehn wieder erwarten geöffnet sind. Noch 10min bis zur Abfahrt. Reservierung? Es gäbe das, aber der Zug ist schon losgefahren (er kommt von Bodo) und daher könne man keine Schlafwagen mehr buchen. Eine Sitzreservierung dagegen wäre kein Problem. Bahnlogik. Einen Sitz gibt es schon für NOK 40, also schon wieder DM10 Zuschlag. Aber es sei kein Problem, wenn noch Schlafplätze frei sind, würde ich im Zug nur die Differenz bezahlen müssen. Zweifel, zweifel....
Dann kommt der Zug. Eine Di4 und 5 Wagen. Nicht gerade viel für die längste Strecke Norwegens. Die Sitzwagen sehen noch recht alt aus, mit Sicken in den Seiten, aber Großraumwagen sind gewöhnlich nicht gerade für Nachtfahrten geeignet. Also Schlafwagenschaffner suchen. Liegewagen? Nein sowas gibt es nicht, nur Schlafwagen, und zwar 3er und 2er. Ich bekomme letzendlich ein Single, nur mit der Differenz, davon will der Zugführer nun wieder garnichts wissen. 'If you buy in train...' Für NOK 160,- darf ich mein 'Single' in Besitz nehmen!
Eine gute Entscheidung. Einige Tage später erfuhr ich dann, was die Alternative zur Nachtreisekultur gewesen wäre: Der einzige Tageszug der Nordlandsbahn fährt als Talent-Triebwagen die über 700km lange Strecke!
Der Schlafwagen dagegen ist noch von alter Schule. Alles ist edel, viel Holz und glänzendes Metall, ein Klappwaschbecken im Abteil und Fenster die sich sogar noch öffnen lassen. So kann man es sich gutgehen lassen. Na dann gute Nacht.