Vom Ende der Welt

Reisebericht von Thomas Kabisch


Teil II: Quer durch Nordschweden



Di, 27.08.02

Um 6:30Uhr geht der Fruehzug nach Helsinki, ein 10-Wagen-Zug mit einer Dr16 - einer Mittelfuehrerstandsdiesellok. Der ersten Wagen ist völlig leer. Grossraum, klimatisiert, mit Raucherzelle. Eine sehr praktische Einrichtung skandianivischer Zuege, wenn man so an bestimmte DB-Wagen denkt, wo der Rauch grundsaetzlich in Nicht- raucherbereiche zieht...
Und der erste Einsatz des Scanrail-Tickets, was von nun an als Eintritts- karte für alle Zuege dienen wird. Und wieder Wald, Wald, Wald. Irgendwann war Kemi. Huebsches Holzempfangsgebaeude, Blumenkuebel, irgendwie sieht alles furchtbar perfekt und steril aus, nach 2 Wochen Russland.
Bf Kemi.


Viel Holzverkehr. Mehrere Dv12 sind mit Rangieren beschaeftigt, ein Dr16-Paerchen uebernimmt einen langen Leerzug. Kemi ist Trennungsbahnhof der beiden finnischen Bahnaeste, die den Polarkreis erreichen, nach Kolari und Rovaniemi/Kemjarvi. Im Gegensatz zum Gueterverkehr wird der Ast nach Kolari im Reisezugverkehr fast garnicht befahren. So ist auch der schwedische/finnische Grenzuebergang Tornio/Haparanda eigentlich nur noch per Bus zu erreichen - jedenfalls an diesem Tage. Im Bus gilt allerdings auch hier das Scanrailticket und entgegen den ausgedruckten Internetinformationen fahren mindestens 1mal stuendlich Busse von Kemi nach Tornio/Haparanda.
Per Bus nach Haparanda. In Tornio geht es ueber eine nette Kastenbruecke. Haparanda, Schweden. Haesslicher Betonbusbahnhof im Schatten von EU-Fahnen. Der schwedische Anschlussbus ist dann der naechste Kulturschok. War der finnische Bus noch einigermassen alt, ist der schwedische nurmehr als Luxusreisebus zu bezeichnen und scheint in allen Dimensionen etwas zu gross geraten.
Und beinahe waere er weggefahren, da es doch nicht alltaeglich ist, dass ein Bus ab 10Uhr am Ziel planmaessig Anschluss an einen solchen ab 9:40Uhr hat...
Es ging etwas zu schnell, gestern frueh Moskau, nachmittag Osteuropa und keinen Tag spaeter Mitteleuropa - jedenfalls von der Zeitzone, und fast alles per Bus auf einer Strecke von gerade 800km...
Zwei Stunden spaeter hat die Busreise vorlaeufig ein Ende gefunden. Lulea, östlicher Endpunkt der beruehmten Erzbahn! Sie und die herrliche nordschwedische Landschaft ringsrum ist das Ziel fuer die naechste Woche.

Ortsbesichtigung, einige Einkaufsstrassen, nichts Besonderes. Aus der Bibliothek, wo ich versuche einen InternetComputer zu ergattern, werde ich verwiesen, es gab wohl ein Anmeldesystem dafür. Dabei wird es bleiben, die nächsten Wochen: In Schweden gibts kein Internet, ganz im Gegensatz zu Russland. Bahnhof: nettes kleines EG und davor abgestellt einige Rc6 und eine Da - angeblich zuweilen sogar als Reserve noch im Einsatz. Heute allerdings nicht. Hafen. Den Gleisen kann man bis zur Kaimauer folgen. Der Erzhafen ist aber versteckt. Einige T44 rangieren.
Mittags herrscht auf dem Bahnhof Lulea Siesta.

Und dann ist sie da - die erste Dm3 - Dinosaurier der Schiene, 3 Segemente, 14-Achsen, Stangenantrieb...
Weiter. Gegen halb fuenf erwacht Tagkompaniet aus der Nachmittagsruhe. Um 16:40Uhr geht der Direktzug Lulea - Stockholm auf Reisen - 20min spaeter dann der abendliche Erzbahnpersonenzug nach Kiruna. Vorfahren bis Boden. Unterwegs Kreuzung mit IORE - der neuen Erzlok. Sie darf bisher allerdings (gluecklicherweise) nur hier fahren, der Westabschnitt ist noch nicht auf 30t Achslast ertuechtigt. In Boden nettes Holz-EG und ein kleiner Lokschuppen. Eine Rc6 und 5 wunderschoene gesickte Wagen bilden Tagkompaniet Zug 2 Lulea - Kiruna.
Innen verspruehen sie noch ganz den Charm der guten alten Eisenbahn. Skandianvische Groesse, dicke Polster, viel Holz. Und irgendwie scheint es, dass die DB-Designer ihre "Ideen" aus Schweden importierten, als sie in den 80er Jahren die InterRegio - Wagen (Bim & Co) creierten. So gibt es hier auch einige Abteile und einen kleinen Grossraum, just so wie eben in einem Bimz...nur dieser Wagen ist etwas aelter... Es herrscht fast voellige Leere, sowohl innen als auch aussen. Der Norden. Waelder, hier schon niedriger. Einsame Kreuzungsstellen, ab und an ein Erzzug...so jagt der Zug durch die Weite. In Gaellivare ein bischen Betrieb, die ersten Berge kommen und die dritte Polarkreiskreuzung auf dieser Reise.
Und irgendwann Kiruna. Regen. Ein Hotel im Bahnhof bietet auf dem Bahnsteig fuer schwedische Verhaeltnisse guenstige Betten an, aber es gibt ein Hostel. Die Stadt ist verwinkelt, das Finden dauert so etwas laenger trotz rudimentaerem Plan. Zehn Minuten vor Schliesszeit um 21Uhr ist sie endlich gefunden.


Mi, 28.08.2002

Das Seeklima ist da, es wird von nun an das Wetter bestimmen. "Nichts ist bestaendiger als der Wechsel" - am Morgen scheint die Sonne und huellt den Kirunavara, den Erzberg schlechthin, in ein warmes Licht.
Der Kirunavara, der "Erzbahnberg" im Morgenlicht.

Der Fruehzug nach Narvik ist wieder ein 5-Wagen-Zug, wozu er allerdings je einen (verschlossenen) Liege- und Schlafwagen mitfuehrt und es auch die naechste Woche tun wird, bleibt ein Raetsel. Noch am Bahnsteig die Begegnung mit der letzten braunen Erzlok, 976/978, sie rumpelt mit einem beladenen Zug vorbei und wird uns dann nach Gegenueberholung im Gueterbahnhof, folgen. Vorbeifahrt am Bw, einige Erzloks stehen abgestellt. Und dann wieder mal Landschaft pur.
Irgendwann der See - der Tornertraesk, er begleitet die Erzbahn auf ca. 100km. Alles ist schon herbstlich bunt - der Herbst beginnt im hohen Norden schon im August.
Wolken, Sonne - Herrliche Lichtschauspiele.
Unterwegs auf der Erzbahn Richtung Narvik.

Abisko Oestra und schliesslich Turiststation. Der erste Hp mit nennenswertem Fahrgastwechsel, eigens errichtet fuer eben diese Beherbergungs- einrichtung, entstanden aus einem Arbeitercamp zur Bahnbauzeit und mitten in der Wildniss gelegen. Hier soll eine Woche Quarier bezogen werden, die ideale Ausgangspunkt für die fotografische Pirsch entlang der Erzbahn und für Ausflüge in die herrliche nordische Bergwelt.
Die Turiststation ist die groesste Herberge in der Gegend, sie bietet alle Preisklassen, so heisst es. Die Wirklichkeit ist etwas verschieden, denn die untere ist nicht so recht vertreten. Ein Hostelbett gibt es fuer 190SEK. Allerdings ist ein Einzug erst am Abend moeglich.

Fuer den Rest des Tages soll der Westabschnitt der Bahn erkundet werden. Gegen 11Uhr kommt der zweite Zug, der Nachtzug aus Stockholm. Er ist nicht viel laenger als der Regionalzug, fuehrt allerdings einen ungesickten Aussichtswagen - einstmals im Rheingold unterwegs. Bjoernfjell, der erste norwegische Halt und als solcher im Fahrplan verzeichnet, soll das Ziel des Nachmittags sein. Nur leider ist der Halt rein betrieblich und garnicht offiziell. Dann eben nicht.

So wird es Riksgrensen, noch auf schwedischer Seite. Die Landschaft sieht schon sehr viel "nordischer" aus als in Abisko, felsig, viel weniger Bewuchs. Ein Hotel ist das einzige groessere Gebaeude, es hat sogar eine Butik, zum Einkaufen. So habe ich bald darauf eine kleine Dose mit loeslichem Kaffee erstanden, fuer ein kulturvolles Fruehstueck unerlaesslich. Dann aber rauf auf den Felsen. Und siehe da - es klappt! Ca. 30sec Sonne reichen, um den Rc6-bespannten Mittagszug sehr schoen auszuleuchten. Es ist der erste Zug des Tages in Richtung Osten. Dann weiter ueber Felsen...und warten. Alle Stunde kommt ein Erzzug, alle 10min die Sonne fuer 1min, alle halbe Stunde regnet es fuer 5min. Sonne und Regen treffen haeufiger zusammen und ermoeglichen herrliche Regenboegen, auch Regen und Erzzug kommt vor, nur eine Permutation scheint absolut umoeglich zusammen zu bekommen: Sonne und Erzzug...
Erzzug bei Riksgrensen.

Irgendwann hat der Regen gesiegt, so bin ich doch froh als endlich der dritte und letzte Zug des Tages gen Westen gegen 16Uhr auftaucht und mich aufnimmt.
Die letzten 40km der Erzbahn sind sicherlich landschaftlich unangefochten, erst geht es ueber eine Hochflaeche voller Felsen, dann oeffnet sich eine Schlucht, 500m tief. Die Bahn klebt foermlich an einem Hang, riesige Geroellhalden zeugen von rauen Naturkraeften. Nach einigen Kurven taucht hinter dem Bahnhof Katterat der Rombaksfjord mit seinem gruenen Wasser 300m tiefer auf. Mit vielen Gallerien windet sich die Strecke hinunter. Irgendwann ist das Herbstlaub vorbei, es ist mit einmal alles gruen. Und eine halbe Stunde spaeter ist Narvik erreicht. Ein Blick in ein nahegelegenes Kaufhaus - fuer eine Pizza will dort umgerechnet ca. 20 Euro - willkommen in Norwegen. Aber das kriegen wir spaeter.
Per Abendzug zurueck nach Abisko in die Turiststation. Das Zimmer ist ein Vierer, drei Betten sind belegt. Auf dem Tisch literarische Werke - mit interessanten Buchtaben und vielen Haceks... es sieht so aus als wenn hier Tschechisch gesprochen wird. Das versricht interssant zu werden.