Eine Welt wie im Märchen

Reisebericht von Thomas Kabisch


III: Entdeckungen in Viseu de Sus

Di, 14.09.99

Oder aber der Waldbahnzug fährt nicht. Wie heute. Es ist Feiertag, ist morgens am Sägewerk zu erfahren. Sogar das Tor zur Strecke am Ende des Werks ist verschlossen. Ja, eine Draisine könnte man mieten, aber ein Zug, heute nicht.

Zeit unser Quartier vorzustellen. Unser Zimmer, oder besser die Hütte liegt auf dem Hof eines kleinen Gehöfts, idyllisch im Garten. Drinnen stehen zwei Doppelstockbetten, und eine Heizung. Es gibt sogar eine Veranda. Santitär ist im Restaurant, oder um die Ecke, mit Herzchen. Wenn das Restaurant geschlossen hat, heißts "Zähneputzen unterm Sternenhimmel"


Bad mit Fernseher unterm Sternenhimmel.



Um 8:30 Uhr Frühstück, im "Schuligu", etwas ganz besonderes, auf dieser Tour. "Frühstück" oder die rumänische Entsprechung dessen scheint ebenso eindeutig zu sein wie beispielsweise "Snitzel", jedenfalls benötigt die Wirtin keine weiteren Angaben - und schon sind die Eier in der Pfanne...
Was tun? Den Ort kann man besichtigen, vielleicht einen Berg erklimmen. Aber die Sonne scheint zu schön, das ruft nach Fotos! Aber halt, da war doch die atemberaubende Regelspurstrecke von der Hinfahrt, die ist nur sechs Kilometer weg, in Viseu de Jos. Also zunächst Ortsbesichtigung. Den Busbahnhof und den richtigen Bahnhof gilt es zu finden.
Der ehemalige Haltepunkt im Ort,an der Regelspur nach Borsa, ist noch besetzt, und man spricht sogar Englisch. Ja, es stimmt, hier fährt kein Personenzug mehr. Aber noch mehr ist zu erfahren: wer nach Cluj wollte, könnte jetzt noch in Ruhe den Ort angucken und um 17Uhr(!) mit dem Bus fahren bis Viseu de Jos, wo dann Anschluß bestünde. Es ist jetzt 10Uhr.... Nach drei weiteren Kilometern ist auch der alte Bahnhof von Viseu des Sus gefunden, ziemlich am Ortsrand. Der Busbahnhof findet sich direkt davor. Dort stehen jedenfalls auf einem staubigen Platz 3 Busse, und ein verwittertes Schild "Gara Autobus" an einem kleinen Haus ist auch zu finden. Ganze 5 Abfahrten sind am Plan durch kaputte Fenster zu entdecken, nicht gerade viel für 20 000 Einwohner. Die nächste in 4 Stunden. Aber halt, da war doch noch was: "Für Auskünfte empfehlen wir das "Xerox"-Büro von Anastasia Bota-Schiesser...Frau Schiesser spricht deutsch", richtig, so stands da auf Seite 94 im Reiseführer. Und zehn Minuten später: tatsächlich, das "Xerox-Büro", genau am beschriebenen Ort. Für einen Feiertag ganz schön geschäftig. Jedenfalls ist erstmal Anstehen angesagt, dann steht uns Anastasia Bota-Schiesser zur Verfügung. Und tatsächlich, sie spricht wirklich sehr gut deutsch! Eine Landkarte hat sie zwar nicht im Verkauf, aber ein Glück, dass hier zufällig die Xerox-Vertretung ist, so ist eine Kopie kein Problem. Und nochetwas gibt es bei Frau Schiesser zu bestaunen: nichts Geringeres als der uns inzwischen wohlbekannte Reiseführer ist auch zur Ansicht verfügbar. Später werden wir nachlesen: "Wir haben die wichtigsten Landkarten bei Frau Schiesser hinterlegt..."
Ein Bus nach Viseu de Jos, ja der führe, so alle Stunde einmal. Dort vorn an der Brücke sei die Haltestelle. Das war doch eine positive Nachricht.

Etwas zurückgesetzt standen am beschriebenen Ort tatsächlich einige Wartehäuschen, es könnte wirklich eine Haltestelle sein. An einen Fahrplanaushang ist natürlich nicht zu denken. Also warten.
Nach 30min kommt ein Bus. Im Gegensatz zur Hinreise ein Stadtverkehrsfahrzeug, mit drei Türen und Plastesitzen und - einem Fahrplanaushang, handgeschrieben. Und er fährt zum Bahnhof Viseu de Jos. Dort hat man sogar ein "Mersul Trenurilor", ein Kursbuch, zwar nicht im Verkauf, aber drin blättern dürfen wir. Dann gehts auf Wanderung, ein Stück der Bahn folgend, Richtung Salva. Und wieder Siesta, ein paar Gleisbauarbeiter liegen im Gebüsch - und schlafen. Die Strecke beschreibt einen großen Bogen und fädelt sich in ein sanftes Tal ein. Entlang der Gleise führt ein ausgetretener Pfad, erstaunlich viele Leute begegnen uns. Ein altes Mütterchen fragt nach unserem Ziel, wir wüßten ihr kaum auf deutsch zu antworten, suchen es nämlich selbst noch, das ultimative Fotomotiv. Eigentlich ist alles hier ein Motiv, Holzhüttchen, schöne Telegraphenmasten mit grünen Glasisolatoren, Bergkullise, künstlerische Heuhaufen usw. usw... Dann ein Pfiff. Schnell die nächste Böschung hoch und schon rumpelt ein zweiachsiger Rottenkraftwagen mit einer winzigen Lore vorbei. Lackiert ist er rot-gelb, er könnte glatt zur Berliner S-Bahn gehören...


Giganten des Schienenstrangs.



Was mag wohl das uns immer noch folgende Mütterchen ob der plötzlichen völlig unverständlichen Panik gedacht haben, wir wissen es nicht... Aber, wie von Geisterhand verbreitet sich die Kunde der zwei Fremden im Tal, bald bekommen wir Besuch. "Germania? - Ah Germania!" Irgentwann, Stunden später: Von weitem ist es schon zu hören: "Tuuuuuut, Tuuuuut,... " ganz langsam kommt es näher, immer lauter dröht es durchs Tal: "Tuck, Tuck, Tuck, Tuck..." - Das muß er sein: Der Tren Rapid nach Bukarest!
Und dann ist wieder Ruhe...4 Stunden bis zum nächsten Zug.

Aber was macht man nun mit soviel Zeit? Unser Reiseführer empfielt: "Man laufe ohne Ziel irgendwo aufs Land, setze sich nach ein oder zwei Stunden an einem schönen Flecken nieder, atme tief durch, lausche in die Stille und entspanne sich...alles andere kommt von alleine." (S.51)


Ohne Worte.



Nach den abendlichen Fotos zurück, diesmal komplett zu Fuß bis ins Quartier. Herrliche Lichtstimmungen bietet der Sonnenuntergang...