Es dämmert. Die Sirene des Sägewerks dröhnt in der Ferne, sie bestimmt
den Rhythmus hier im Tal, eine Woche werden wir uns dem
nun anschließen. Es ist 6 Uhr.
Heute soll es zum erstenmal hinauf "ins Wasser" gehen, also Zeit zum
Aufstehen, denn der Zug dorthin fährt "In der Fruh".
Heute wird "die Fruh" um 10 Uhr sein, aber dies weiß zur dieser
vorgerückten Stunde natürlich noch niemand.
Und schon wieder dröhnt es in der Ferne, es wird Zeit zum Starten.
Den gleichen Weg wie am Abend, aber jetzt ist die halbe Stadt
unterwegs, Karawanen strömen zum Sägewerk, wir strömen mit.
Dann, eine weiße Dampffahne, ein Pfiff, hier ist schon mächtig Betrieb:
es wird rangiert, und zwar waldbahnerisch:
"Auf einem Gewirr von abenteuerlich verlegten Geleisen wird eine
Zugkomposition zusammengestellt. Dieses zeitraubende Manöver entzieht
sich westlicher Eisenbahner-Logik und folgt eigenen Regeln.
Irgentwo dazwischen wird munter an einem zerbeulten, rauchenden
Ungetüm gewerkelt, das eher einer verrosteten Teekanne auf Rädern
denn einer Lokomotive gleicht." (S.134)
Dem gibt es eigentlich nichts hinzuzufügen.
Morgenstimmung im Sägewerk
Dabei ist fast der gesamte Fahrzeugpark im Einsatz. Zunächst
natürlich DIE Dampflok, 764 469 - sie scheint die letzte übriggebliebene
zu sein, trotzdem macht sie ihrem Namen alle Ehre.
Dann, fast ebenso sehenswert, vor allem hörenswert, der "Automotor",
ein Triebwagen, mit nur einem Führerstand und weitestgehend ohne
Sitze.
Und 87 0033, eigentlich eine ganz gewöhnliche Lxd2,auf polnisch
ausgedrückt, allerdings wir wären nicht in Viseu de Sus,
wenn man nicht auch an ihr kräftig Facelifting betrieben hätte,
der längere Vorbau wurde irgendwie gekürzt. So wird heute wird ein
Schweißertisch mit ihr in die Berge reisen.
Und schließlich gibt es Autos, genau gesagt Schienenautos, vom
Jeep über den Lieferwagen bis zum Lkw ist alles vertreten.
An dieser Stelle für den Uneingeweihten ein paar Grundlagen
zum Waldbahnbetrieb im Allgemeinen und zu dem in Viseu de Sus
im Besonderen:
Zentraler Ausgangspunkt aller Züge mit allen Betriebsanlagen ist
das Holzwerk in Viseu de Sus, kurz Viseu de Sus (IF). Hier sind auch
Lokschuppen und ein Bahnhofsgebäude vorhanden.
Es gibt zwei Streckenäste in den Wald. Der Hauptast folgt über 40km
immer dem lauf des Wassertals (Valea Vaser). Nach 9km
zweigt in Novat ein 10km langer Nebenast ab.
Es geht vom Werk stets bergauf, so daß nur die Leerzüge einer Traktion
bedürfen, talwärts funktioniert das mit Holzantrieb.
Wie es sich für eine Waldbahn gehört, bestehen die Züge zum größten
Teil aus Drehschemeln, handgebremst.
Aber nicht nur Holz wird transportiert. Die Waldbahn ist die einzige
Lebensader im Tal, so vielfältig ist das Programm.
Da wäre zunächst der Personentransport: Einwohner der Bergdörfer,
Waldarbeiter, Jäger, ja sogar Grenzer (die Ukraine ist nah) finden
sich unter den Fahrgästen, teils in Extra-Wagen.
Weit vielfältiger - der Güterverkehr: vom Brot zur Versorgung der
Arbeiter über Schwellen, Gasflaschen und Benzinfässer bis hin zu
ganzen Forsttraktoren reicht das Spektrum, eben einfach alles, was
man im Tal so braucht.
Die Anzahl an Drehschemeln je Zug ist hin und zurück meist ähnlich,
die Zuglängen dagegen überhaupt nicht...
Bergwärts schafft der Dampfer ca. 16 Drehschemel, mit Diesel sinds
doppelt so viele.
Grundsätzlich laufen die Extra-Wagen direkt hinter der Lok, dann
folgen die Drehschemel und - zum Schuß meist winzige Wägelchen mit
einer einfachen Holzplatte und ein paar Waldarbeitern drauf.
Sie lassen sich hochziehen und kommen dann ganz allein wieder unten
an.
Im September 1999 wurde meist nach dem gleichen Betriebsprogramm gefahren:
Jeder Streckeast hat "seinen" Zug, morgens verlassen die Züge Viseu
de Sus, der Dieselzug befährt im Regelfall die Stammstrecke,
der Dampfer den Seitenast. Einen Fahrplan gibt es natürlich nicht.
Aber Zurück ins Sägewerk.
Derweil ist es 9:40 Uhr: Männer springen auf die Wagen, ein Pfiff, hektische
Bewegungen, die Wagen werden erstürmt und der Dieselzug macht sich auf den Weg.
[Viseu de Sus -> Ripi km19, 764 469, Flachwg2351, 10:55 -> 13:00]
Nun geht es schlag auf Schlag, kaum 20min nach dem Abrücken des Diesels
geht auch der Dampfzug auf die Reise: Neben dem obligtorischen Dampfbeiwagen,
ein G-Wagen mit Zusatztenderfunktion, Ofen und zwei Fenstern an der Seite ist
heute noch ein Flachwagen mit im Zug. Der ist als Personenwagen nicht zu
verachten, ein einzig wahrer Aussichtswagen.
Nach ein paar hunder Meter Fahrt finden sich neben einigen Holzschwellen und
Gasflaschen mindestens 20 Waldarbeiter an Bord, es ist Montag, die Waldarbeiter
fahren für die ganze Woche hoch ins Tal.
Ein letzter Halt hinter der letzten Weiche, die "Nachstellpersonenwagen" werden
angehängt, dann geht richtig los - ins Wassertal.
Die ersten km noch entlang der Ausläufer von Viseu de Sus, Valea Pestilor
und Valea Scradei, letzteres erstreckt sich in einem Seitental und hat sogar
einen Bahnhof. Erster Halt nach 20min mitten auf der Dorfstraße.
Zwischenhalt in Valea Scradei
Dampf kochen. Ein paar Hühner bevölkern die Gleise. Weiter.
Die Besiedelung läßt nach, bald regiert die Natur allein, jeder Flußbiegung
folgt die Strecke, links und rechts geht's steil bergauf.
Nach 7km plätschert etwas am Hang hinunter, ein Seitenbach. Wassernahme!
Ein Bassin fängt das Wasser oberhalb des Gleises auf, ein Rohr geht zum Gleis -
der einzige Waldbahnwasserkran Rumäniens ist erreicht.
20min Pause, dann ein Pfiff, und schon schnauft die Lok weiter bergan.
Nach 9km eine Weiche und - ein Empfangsgebäude, sogar mit Stationsschild,
darauf steht "Novat", hier ist also der Trennungsbahnhof und ein paar Minuten
Pause.
Hinter dem Bahnhof soll ein Sonnenbild möglich sein, also Spurt voran, ein Pfiff,
und schon kommt der Zug mit ohrenbetäubendem Lärm um die Ecke geschnauft.
Und jetzt geht es richtig zur Sache, das Aufspringen erfordert schon Kondition,
aber es gelingt. Dann eine Brücke, ein Gleisdreieck malerisch zwischen
Felswände und Fluß gezwängt, Abzweig, die Stammstrecke geht hier geradeaus
weiter.
Die nun erreichte Zweigstrecke nach Ripi folgt dem einem Nebental, dem
Novat-Graben. Kaum sind wir abgebogen der nächste Halt.
Einige Drehschemel stehen vor uns im Gleis. Kein Problem, dafür hat man Übung,
weiter gehts!
Dann, eine Brücke oder besser Reste davon. Hier ging es einst in ein
weiteres Tal, jedes Bächlein hatte seine Waldbahn, ein Unwetter beendete hier
allerdings diesen Zustand.
Nach 10min Fahrt der nächste Halt, eine Holzverladestelle im Wald, was sonst.
Drehschemel werden entladen, einige bleiben hier, eine Holzbrücke führt für
einen Weg über den Fluß. Und weiter.
Noch mal 10min, dann über eine schöne Holzbrücke, und ein Gleisdreieck,
der nächste Abzweig, nach Norden.
Auf einer kleinen Lichtung ein Bahnhof: Poinova Novat, ein Holzschuppen,
ein verwittertes EG und ein Ausweichgleis, mit Drehschemeln vollgestellt,
bilden die Anlagen. Ein paar hundert Meter entfernt stehen einige Wohnhäuser,
hier oben völlig ungewöhnlich.
Die restlichen Drehschemel bleiben zurück, weiter gehts als Kurzzug:
764 469 + Begleitwagen + Flachwagen 2351.
Zwischenzeitlich ist auch etwas mehr Platz, die meisten Waldarbeiter
sind ausgestiegen (oder besser abgestiegen),
die Schwellen werden schwungvoll während der Fahrt genau an der
Einbauposition "entladen". Präzisionsarbeit.
Weiter hinein in den Wald führt der Weg, immer im Tal entlang.
Ihoasa heißt der nächste Halt - wieder mit EG - mitten im Wald,
hier stehen sogar noch zwei weitere Häuser. Pause.
Verschnaufpause, im wahrsten Sinne des Wortes. Neben dem Gleis plätschert
der Bach, sonst ist rings rum alles von majestetischen Wald umgeben,
eine echte Märchenlandschaft. Herrlich.
Ihoasa
Dann kommt Bewegung auf, einige Matazen fliegen im Hohen Bogen auf den
Flachwagen, Gasflaschen werden gegen Axt und Schaufel getauscht,
schließlich Fahrgastwechsel und - Rangiermanöver...
Zur allseitigen Verwunderung wird der Begleitwagen aufs Nachbargleis
geschoben - und abgestellt.
Nun besteht der Zug nur noch aus Lok und dem bewußten Flachwagen,
der ist dafür zu einer Polsterklasse mit Ausblick geworden.
Die stärkste Steigung der Waldbahn steht beovr. Mit ohrenbetäubenden
Auspuffschlägen verschwindt der Zug wieder im Wald, Wald, Wald, Wald...
Dann plötzlich Halt. Vor der Lok ist das Gleis zu Ende, jedenfalls ist nichts
mehr davon zu sehen, ein Unwetter hat es im Schlamm versinken lassen - und
anscheinend wird die Strecke hier zum ersten Mal wieder befahren.
Nun kommen Axt und Schaufel in Aktion.
Die Gleissuche gestaltet sich erfolgreich, Axt und Schaufel fliegen
auf den Wagen, und weiter gehts. Aufwärts!
Nachmal ein Stop, nochmal Gleis aus dem Schlamm graben, dann weitet
sich das Tal, wir sind oben. Der Wald tritt zurück, einige verstreut liegende
Holzhäuschen tauchen auf, eine Weiche und dann waren wir angekommen.
Am Streckenende in Ripi.
Ripi. Der Endpunkt des Seitenastes.
Der Wagen wird von Hand ausrangiert, dann schnauft die Lok talwärts,
aber nur 100m um Wasser zu fassen - direkt aus dem Fluss.
Schlauch ausrollen, ins Wasser legen, anschließen, und warten.
Eben Siesta. Das Zugpersonal geht derweil angeln.
Oder macht eben Siesta. Einer von uns entscheidet sich spontan auch
für letzteres,das sollte uns noch vor einer 25km-Wanderung bewahren...
Die anderen beiden treibt natürlich die Neugier,
"Wo ist wohl das Gleis wirklich zu Ende?",
"Was gibt es noch hier oben?" oder "Wer wohnt wohl in den
Holzhäuschen?" Fragen die förmlich nach einer Expedition rufen.
Aber da war noch eine unbeantwortete Frage
und die lautet: "Wann geht es zurück?" Na ja, jedenfalls nicht sofort.
Also los. Die Antworten waren dann schneller gefunden als gedacht:
"Nach wenigen 100m hinter einer Brücke" und "Eine Talsperre mit kleinem
Kraftwerk!" und "niemand".
Nur die letzte Frage bleibt erstmal unbeantwortet.
Also schnell zurück zur Lok, sie qualmt noch vor sich hin.
Na ja, allen Regeln nach dürfte sie zumindest den Flachwagen mitnehmen,
denken wir und suchen uns eine gemütliche Stelle am anderen Flußufer für
ein Foto von der Pendelfahrt. Dann heißt es wieder warten.
Irgentwann, 2 Stunden später, zerreißt ein Pfiff das eintönige Wasserrauschen.
Was hat das zu bedeuten?
"Er hat talwärts gezeigt!" ruft uns unser dritter Mann aufgeregt von der anderen
Flussseite zu, und schon war er wieder verschwunden.
Sollte es wirklich ohne den Wagen...
Ehe wir es uns überlegen können, kommt die Lok angeschnauft, offensichtlich um
uns abzuholen. Nun aber rüber, Schuhe angezogen und rein in den Führerstand...
Hier gehts ja lustig zu. Wir sind zu fünft auf der kleinen Lok, nein plötzlich
zu siebend, ein Bremser und Zugführer springen auf, die Angler.
So rumpelt der "Personenzug" talwärts, der Zugführer hats sich derweil auf dem
Kessel bequem gemacht, irgentwie wärs doch zu eng geworden, zu siebend im
Führerstand - zur Erinnerung, wir fahren auf einer 760mm Schmlaspurbahn.
Ein Personenzug auf der Waldbahn, nur eben ohne Wagen.
Kurve links, Kurve rechts, jeder Flußwindung folgend. Links das Feuerloch,
rechts die Kohlen, ich komme mir etwas hilflos vor, so recht mit rausgucken
is nicht. Zudem wirds ziemlich warm...
Aber trotzdem, ein Erlebnis allemal.
Ihoasa, der Begleitwagen wartet schon, umrangieren per Hand. Und umsteigen.
Talwärts. Weiter, vorbei in Poiana Novat, an den
Abzweigen und viel schneller als auf dem Hinweg kommt das Gleisdreieck und
Novat wieder ins Blickfeld.
Bis hier ist die eigentliche Rückfracht per Schwerkraft schon vorgefahren
und wartet geduldig: mehrere Langholzwagen stehen im Ausweichgleis.
Nun gilt es, keine Zeit zu verlieren, der Feierabend naht. Ankuppeln und abfahrn!
An unzähligen Flußwindungen entlang, am Wasserkran vorbei.
Mit einmal: Vollbremsung, der Zug steht. Mitten auf freier Strecke.
Eher ungewöhnlich in Lastrichtung. Ein Blick nach vorn, schnell ist klar:
Nicht ganz profilfrei ragt ein dicker Baumstamm ins Gleis. Vermutlich vom
Hang hinuntergestürzt. Hau-ruck, da war er aus dem Gleis. Das sieht aber
leicht mitgenommen aus: 6cm Spurerweiterung schätzungsweise. Ist jetzt
die Fahrt zu Ende?
Allerdings gelten auf Waldbahnen wohl größere Tolleranzen. Augen zu und durch!
Oder besser: Und rüber! Der Beweis ist erbracht: 820mm sind gar kein Problem
für eine 760mm-Schmalspurbahn! Ein paar Minuten später ist der Zug wieder auf
der Reise,und eine halbe Stunde später: Viseu de Sus, 17:30 Uhr. Unten.
Der Zug ist zurück. Ankunft in Viseu de Sus.
Die Lok verschwindet im Werk, ihr Tag ist zu Ende.
Zum nach Hause gehen ist es noch zu früh, zudem fehlt der Dieselzug und da
waren doch noch so schöne Brücken.
In der Tat, die Hängebrücken über das Wasser sind eine Besichtigung wert,
ihre Statik oder sie aus drei paarallelen Stahlseilen, auf die einfach
Holzbohlen gelegt wurden. Davon fehlen natürlich einige,
andere sind arg morsch und das Wasser ist hier bestimmt 20m breit...
Die Einheimischen haben offensichtlich keine Probleme mit dem Bauwerk,
es wird im vollsten Tempo auch mit dem Fahrrad befahren, und auch diverse
Vierbeiner bis hin zu Ziegen rennen unbehelligt rüber.
Hängebrücke im Wassertal.
Der Dieselzug ließ auf sich warten, irgendwann war die Sonne verschwunden.
Also übers Wasser, auf der anderen Talseite entlang, in die Zipserei,
das ehemalige deutsche Viertel und unser Wohnquatier.
Abends dann heißt es "Unic" - "Das Einzige", naja nicht ganz, aber zumindest
das einzige Resaurant, was zu den üblichen Abendbrotzeiten auch noch
solches anbietet. Es wird zwangsläufig unser Stammlokal.
Um 22Uhr fällt dann der Hammer, denn der Waldbahnzug fährt "In der Fruh".